Schon Goethe war begeistert von Siziliens schönstem Panorama!
Millionenfach fotografiert: das Teatro Greco in Taormina

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„Und jetzt, meine Herrschaften, das ist die fotografische Stelle!“
Während einzelne der Operettengestalt von einem italienischen Reiseführer noch Details über die griechische Szene zu entlocken versuchen, bringt sich die Mehrheit der Gruppe bereits mit Kamera in Position.

Aber lassen sich die zig Millionen Fotos des erklärtermaßen schönsten Panoramas Siziliens überhaupt noch übertreffen? Das Rund des Teatro Greco mit der Kulisse aus römischen Backsteinbögen und den fünf griechischen Säulentorsi, die die Wirren der Geschichte auf diese oder jene Art überstanden haben; rechterhand und malerisch von einem kleinen Dom regiert Taormina, „Siziliens blumengeschmückter Balkon über dem azurblauen Meer“, im Hintergrund, bildbestimmend und doch beruhigend weit weg, der majestätische Kegel des Ätna, Schneekapuze mit kokettem Häubchen aus Wasserdampf unter Bilderbuchhimmel. Jetzt bloß nicht wackeln!

Seit Goethe am 7. Mai 1787 befand, „dass wohl nie ein Publikum in einem Theater solche Gegenstände vor sich gehabt“ (auch dem Dichterfürsten schienen hier die Worte zu fehlen) sind Legionen auf der Suche nach Arkadien über die nahe Straße von Messina hierher an die sizilianische Ostküste gezogen.

Briten begründeten den Ruf als Kurort

Den adeligen Bildungsreisenden des 19. Jahrhunderts folgend begründeten die Engländer auf der Flucht vor dem nordischen Winter den Ruf Taorminas als Luftkurort, dann wurde der sommerliche Badeurlaub schick, unten an den steinigen, aber romantischen Stränden der Sirenenbucht. Heute setzen klimatisierte Luxusbusse ihre Passagiere direkt vor der Porta Messina ab.

Die vielleicht schönste Ankunft, die mit der Bahn unten am Meer bei Giardini, wo der kleine Bahnhof die Individualreisenden noch immer mit dem Charme der Belle Epoque empfängt, ist gleichzeitig auch die anstrengendste – zumindest, wenn man von hier den steilen Fußpfad hoch zum Ort in Angriff nimmt. Die Mühe wird mehr als belohnt, denn keiner der 250 Höhenmeter möchte in puncto Panorama und Farbenpracht hinter dem vorigen zurückstehen: Agaven mit riesigen Blütenschäften, Kakteen, Jasmin, Hibiskus, dazu, immer weiter in die Tiefe sinkend, die ausladende Bucht von Giardini, wo Odysseus nach überstandenen Abenteuern mit Scylla und Charybdis einst gestrandet sein soll.

Kein Mythos, sondern als Keimzelle griechischer Kolonisation in Sizilien verbrieft und zu besichtigen sind dagegen die Ruinen von Naxos am Cap Schiso`. Nach den Griechen die Römer, schließlich die Araber, die mit ihren ausgefeilten Bewässerungstechniken Taormina zum blühen brachten, dann Normannen, Staufer, Amerikaner – der Weg fordert genügend Pausen, um im Geiste nochmal sämtliche Flotten anzulanden. Schließlich, nach einer frischbetonierten Treppe, in der Dario und Sandra letzte Nacht ihre Liebe mit Pfeil und Herzchen bekräftigt haben, eröffnet ein Premierenvorhang aus Bougainvillea das Ende aller Mühen: Taorminas Kurgarten, der Park der Villa Comunale.

Auch hier hat sich alles versammelt, was Taormina so unverwechselbar macht: Duomo, Palazzi, Ionisches Meer, dazu ein demokratischer Blick auf Siziliens feinstes Hotel, das ehemalige Kloster San Domenico, und natürlich der 3300 Meter hohe aktivste Vulkan Europas. Zypressen und blühende Lorbeerbäume sorgen für Schatten, Sonntage obendrein für Familienidylle: Fast peinlich hebt sich dann pflegeleichte Touristenkluft vom Mailänder Schick der Italiener ab. Aber nur waschechte Sizilianer wissen die Temperaturen ihrer Heimat in Sonntagsanzug und Krawatte zu ertragen.

Man sollte sich Zeit lassen mit dem Aufbruch ins Herz Taorminas, denn Corso Umberto ist sicher nicht der schönste Straßenzug des Kurstädtchens – aber vielleicht der ehrlichste. Oder was darf man in einem Ort mit jährlich über 150.000 Touristen unter „lebendiger Hauptschlagader“ erwarten? Menschen die Geld ausgeben und andere, die ihnen dabei gern behilflich sind. So reicht die Palette am Corso auch von Amphore (griechisch) bis Zuckerlava (pechschwarz), die Rezipienten von Weltenbummlern und Werbefahrern bis Schulklassen und Oberlehrern, von Familienurlauber bis Gore-Texaner.

Jeder müht sich, nicht so zu sein wie die anderen, aber vorbei an Taormina kommt keiner so leicht. Vielleicht ist das Städtchen ganz einfach eine Frage des Timings.

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Die richtige Zeit für Taormina finden, heißt früh aufstehen oder lange aushalten: etwa morgens vor der ersten Schulklasse Theater und Ätnakulisse im klaren Licht genießen oder auch spät im Jahr unten bei Isola Bella einen Altweibersommer am Meer verbringen.

Für Kunstfreunde bedeutet Timing dagegen, mittendrein ins gleißende Licht der sizilianischen Löwensonne zu springen, denn im Sommer machen Sinfonieorchester, Theatergruppen und Ballettensembles aus ganz Europa das griechische Theater beim Festival „Taormina Arte“ zum Tummelplatz künstlerischer Weltklasse.
Auch wenn besonders die Deutschen (eine ganze Menge hat sich übrigens in Taormina niedergelassen, eingeheiratet oder zur Ruhe gesetzt) im Drang nach stillen Winkeln, scheinbar jeden Balkon fotografiert und jede Wäscheleine vermessen haben, finden sich abseits noch genügend Reservate sizilianischen Charmes: Enge Gässchen, stille Piazette mit verstaubtem Frühbarock und wissenden alten Männern.
Wer dagegen den steilen Fußweg zum Castello Monte Tauro auf sich nimmt, kann nicht nur 200 weitere Höhenmeter für sich verbuchen, sondern auch die Aussicht auf Ruhe und den frischgetünchten Kurort. Andererseits erhebt sich die Frage, ob die meist knapp bemessene Zeit nicht besser in einem klavieruntermalten Eisbecher im „Cafe Wunderbar“ anzulegen wäre. Denn auch am Balkon der Piazza Nove Aprile breiten sich Homers legendenträchtige Ufer aus – und jede Menge Menschen. Gibt es überhaupt interessanteren Gesprächsstoff? Taormina muss eben sein. Da kann man nichts machen.